Drei Hauptzutaten für ein gelungenes Gedicht

Dies ist keine theoretische Anleitung wie ein Gedicht richtig zu schreiben ist. Es geht hier also nicht um die Punkte, welche – aus literarischer Sicht – bei der Komposition von Poesie berücksichtigt werden sollten. Wer auf der Suche danach ist, findet die entsprechenden Informationen in unzähligen anderweitigen Quellen.

Ich beschränke mich hier ausschließlich auf die drei Hauptzutaten – die Soft Facts sozusagen –, welche meines Erachtens für ein gelungenes Gedicht unerlässlich sind und mindestens 80% des Weges ausmachen. Der Rest ist Übungssache und wird sich mit der Zeit einstellen.

Wenn du Poesie erschaffen möchtest, mußt du Poesie schreiben – und lesen; daran führt kein Weg vorbei. Wenn du viele Gedichte liest, über alle zeitlichen Epochen hinweg, von den alten Meistern bis hin zur modernen Poesie, wirst du schnell ein Gespür für die lyrische Sprache bekommen und ganz nebenbei, durch stetiges Schreiben, selbst deinen eigenen Stil entwickeln.

Zutat #1: Das Thema

Finde ein Thema, das dich wirklich begeistert oder bewegt

Dies ist der erste und ein ganz entscheidender Schritt. Frage dich, worüber du schreiben möchtest. Was willst du sagen oder ausdrücken? Spüre, was dich in deinem Inneren bewegt, wobei du das Bedürfnis verspürst, deine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, dein Sehen und Erleben festzuhalten, es in Form von Versen niederzuschreiben, für dich, für andere oder sogar für die ganze Welt.  

Diese „Trigger“, die dich zum schreiben bewegen, können sehr vielfältig sein. Die häufigsten Impulse, sich etwas von der Seele zu schreiben, sind natürlich Gefühle – positive wie negative. Du kannst jedoch mit deiner Poesie genauso Umstände kritisieren, auf Missstände hinweisen, Groll oder Hilflosigkeit ausdrücken, mystische Welten kreieren, Träumen und Wünschen Raum geben, jemanden ehren, bewundern, eine Botschaft übermitteln oder Hoffnung geben – die Liste ist endlos.

Schenke allen Facetten des Lebens Beachtung

Es müssen nicht immer hochtrabende, philosophische oder lebensentscheidende Themen sein. Du kannst ebenso über die kleinen oder alltäglichen Dinge schreiben, zum Beispiel über deinen Morgenkaffee. Entscheidend ist dabei allerdings Eines: Das Thema muß dich in irgendeiner Weise berühren oder bewegen; es sollte einen warmen, lichtvollen Impuls in dir auslösen. Wenn dein Morgenkaffee dir einen guten Start in den Tag beschert, dir eine stille Geborgenheit und Gemütlichkeit schenkt, oder – ganz dramatisch – du ohne Kaffee nicht leben kannst… Dann schreibe darüber, denn du hast die erste und wichtigste Zutat für dein Gedicht schon in der Hand – Begeisterung.

Das Thema sollte eine Wichtigkeit und Bedeutung für dich haben; der persönliche Bezug ist unerlässlich um ein ehrliches Gedicht schreiben zu können. Du mußt fühlen, was du schreibst, ansonsten wird es immer nur wie eine simple Beschreibung oder Abhandlung klingen. 

Natürlich kannst du auch aus einem dunklen Impuls heraus schreiben – wenn du traurig, verletzt verärgert, ängstlich oder wütend bist. Hierbei entwickelst du gleichzeitig mehr Einsicht, Verständnis und Mitgefühl für dein Umfeld und sogar für dich selbst. Du erkennst dich selbst und lernst, dich besser kennen und verstehen; durch die Erkenntnis entsteht ein innerer Wandel. Diese Transformation funktioniert nicht nur mit Gedichten, sondern mit allen Textarten, zum Beispiel indem du nur für dich deine Gedanken und was in dir vorgeht niederschreibst. Hierzu an anderer Stelle und zu einem späteren Zeitpunkt mehr.

Spüre, was von dir und durch dich erschaffen werden möchte

Die bewegendsten Gedichte stammen allerdings aus der Kategorie: „das Thema findet dich“, zumindest wenn du schon eine zeitlang dabei bist. Du wirst nicht mehr überlegen müssen worüber du schreiben sollst, sondern weißt worüber du schreiben willst oder sogar musst. Denn es kommt zu dir, was durch dich erschaffen und geboren werden möchte. Es klopft an deine Tür, direkt aus einer höheren Quelle – besser bekannt als Inspiration oder Muse. Dann zählt es, ob du die Tür öffnest und es einlässt, ob du dich als Kanal zur Verfügung stellen möchtest und bereit bist zu einer Zusammenarbeit, um Neues zu erschaffen.

Nachdem du dies ein paar Mal getan, der Inspiration Einlass gewährt hast und dabei bleibst, willens dies immer wieder zu tun und zu erleben, dann wird die Tür offen bleiben. Die Ideen und Botschaften werden in Form von Gedichten, oder welches auch immer deine bevorzugte Ausdrucksform ist, ungehindert von dir und durch dich in diese Welt fließen. Nicht nur für Gedichte, sondern für alle Textarten gilt: Du kannst nur Bewegen, wenn du selbst bewegt bist.

Zutat #2: Bilder, Bilder, Bilder...

Male mit Worten, schreibe in Bildern! 

Sage nicht einfach nur was an der Oberfläche vorgeht, sondern erkläre und beschreibe es im Detail, so genau wie möglich. Wenn du traurig oder verletzt bist, sieh ganz genau hin, höre in dich hinein. Beschreibe das Gefühl, das du dabei wahrnimmst, genau so echt und wahr wie du es fühlst. Drücke mit deinen eigenen Worten aus was du erlebst – nah, hart, schonungslos und ehrlich, aus erster Hand.

Erkläre wie diese Situation sich in deinem Körper anfühlt und was du dabei empfindest. Sage nicht nur, dass du Sehnsucht hast; beschreibe den Schmerz bildlich, drücke aus, wie diese Sehnsucht dich verbrennt, wie dich ihr Feuer innerlich auffrisst. Beschreibe bildhaft, was die Erfahrung mit dir gemacht hat, was du daraus gelernt hast, wie sie dich verändert hat oder wie du gestärkt daraus hervor gegangen bist.

Der positive Nebeneffekt

Über den Ausdruck des inneren Erlebens bist du gezwungen, genau hin zu spüren, in dich hinein zu hören, wie es sich für dich anfühlt, sowohl emotional als auch körperlich. Dieses Hinspüren bringt dein Augenmerk genau an den Punkt wo es weh tut. Indem du deine Energie und Aufmerksamkeit dorthin richtest wo der Schmerz sitzt – durch das Beobachten des wunden Punktes und das Niederschreiben – bekommt das Gefühl die Möglichkeit, transformiert zu werden.

Du wirst, mit einem gewissen Abstand, als Beobachter die Sache betrachten können. Indem das Licht deines Bewusstseins auf das Problem scheint, wirst du mit der Zeit eine gewisse Leichtigkeit empfinden können, bis hin zu einem Gefühl von innerem Frieden.

Der Schmerz wird dadurch nicht plötzlich völlig verschwinden, aber er wird leichter. Wobei auch dies der Fall sein kann, falls du erkennen solltest, dass es sich dabei vielleicht lediglich um ein Konstrukt deines konditionierten Verstandes gehandelt hat, basierend auf Mustern oder Gewohnheiten, welche durch deine innere Reaktion auf äußere Umstände ausgelöst wurden. In diesem Fall kann diese Einsicht das Thema, das dich beschäftigt hatte, für nichtig erklärten und völlig auflösen.

Zutat #3: Break the rules

Regeln sind da, um sie zu brechen

Ich werde auf die formellen Regeln, wie Versformen, Reimschemen, Rhythmen usw. nicht näher eingehen; da diese ebenfalls ganz einfach anderen Informationsquellen entnommen werden können. Ich möchte jedoch betonen, dass es wichtig ist, diese Möglichkeiten zu kennen, damit diese bei Bedarf und wo es sinnvoll erscheint, eingesetzt werden können – oder auch, um sie (gekonnt) zu brechen; denn man sollte die Regeln kennen, um sie brechen oder umgehen zu können.

Meine Herangehensweise

Die Einhaltung solcher Muster halte ich allerdings nicht für essenziell, obwohl ich selbst tatsächlich sehr oft in Reimform schreibe – dies aber, weil die Zeilen bereits genau so zu mir gekommen sind und so sein wollen, oder weil ich sie bewusst als Reim verfasse; wenn dies das Gesamtbild abrundet, die Aussage stärker unterstreicht oder einzelnen Elementen mehr Betonung verleiht.

Häufig finden sich in meinen Gedichten auch nur vereinzelte Reime, ohne erkennbares System oder Struktur, verstreut in gänzlich ungereimten Versen, weil es sich als besonderer Klang einfügt oder um bestimmte Dinge eigens hervorzuheben oder zu beleuchten. Diese Reime lassen sich meist keinem bestimmten Schema zuordnend und können sogar willkürlich erscheinen.

Ein Gedicht kann, nach allen Regeln der Kunst, perfekt aufpoliert da stehen aber trotzdem grottenschlecht sein und einen eiskalt und leer zurücklassen, wenn ihm jegliches Leben und Echtheit fehlt.

Oft folgen meine Gedichte aber keinerlei festen Formen. Meist sind die Verse, so wie sie in dem Moment sind, in dem ich sie fühle oder sie sich in meinem Kopf bilden, genau richtig – wie sie gehören, so wie sie gedacht und gewollt sind. Wenn sie aber in keine bestimmte Form oder Schema passen (wollen) dann bleibt dies auch so. Denn es fühlt es sich falsch an, diese Verse zu „verstümmeln“, nur um sie in eine bestimmte Ordnung zu pressen. Manche Dinge wollen sich nicht fügen, um etwas zu werden, was sie nicht sind. Solche “krummen” Passagen mögen sich unter Umständen für den Leser etwas holprig anhören.

Ich versuche natürlich, offensichtliche textliche oder melodische Unebenheiten auszugleichen, aber nur, wenn es mir sinnvoll erscheint und die Änderung dem Gesamtwerk etwas hinzufügen kann – und noch wichtiger, von der eigentlichen Essenz und Wirkung nichts weg nimmt. Ist dies nicht der Fall, darf so ein „ungehobelter“ Teil einfach stehen bleiben, solange es sich für mich richtig und stimmig anfühlt. Schließlich brauchen die Kritiker da draußen auch etwas Futter… ;)

#4: Wann ist ein Gedicht ein Gedicht?

Dies ist, natürlich keine weitere Zutat, sondern nur eine von vielen möglichen und berechtigten Sichtweisen: 

Erzähle keine Prosa, wenn du eigentlich ein Gedicht schreiben willst! Ich möchte nicht den Unterschied zwischen Poesie und Prosa oder anderen Textformen erläutern, sondern hiermit nur zum Ausdruck bringen, was – aus meiner Sicht – nicht wirklich in unter die Kategorie Poesie fällt.

Ich befürworte die dichterische Freiheit über alle Maßen. Was meine Arbeit angeht, halte ich mich selbst ungern und selten an Regeln oder generellen Vorgaben, außer es macht für mich ausdrücklich Sinn – wie bereits erwähnt. Ich habe selbst schon sämtliche Regeln mißachtet, gebrochen, zerstückelt und neu zusammengesetzt, jedoch halte ich eine gewisse Mindestanforderung an Form und Inhalt für unerlässlich, um einer Aneinanderreihung von Wörtern und Sätzen eine lyrische Anmutung zu verleihen.

Selbst wenn es, vor allem auf den sozialen Plattformen, oder sogar in veröffentlichten Büchern, als solches bezeichnet wird – aber, NEIN! – eine simple und kurze Aneinanderreihung von beliebigen Wörtern, häufig sogar ohne jeglichen Inhalt, Aussage oder Sinn, ist definitiv kein Gedicht. Der Wörterkette noch einen oder mehrere – meist noch sinnlosere – Zeilenumbrüche hinzu zu fügen und zu behaupten das sei das #poemoftheday und sich als #poetofinstagram zu bezeichnen, tut dem Ganzen auch nichts hinzu. All das macht aus ein paar Wortfetzen noch kein Gedicht und den Verfasser längst nicht zum Poeten; und der Hashtag #poetryisalive haucht dem Unsinn auch kein Leben mehr ein. Tote zum Leben erwecken mit einem Hashtag? #ichlachmichtot...

Andererseits haben viele dieser Sätze tatsächlich eine gute Aussage oder Botschaft, manche sogar eine sehr wichtige und sinnvolle. Allerdings sind sie deshalb dennoch nicht unter dem Begriff Poesie, auch nicht als moderne Poesie oder unter dem sehr dehnbaren Begriff „freie Verse“ einzuordnen. Diese Bezeichnungen werden oft missverstanden und als Freibrief gesehen, beliebige Aussagen „frei“ zusammen zu würfeln und „Poem“ darüber und seinen Namen darunter zu schreiben.

Es ist, was es ist

Es haben alle Texte ihre Berechtigung. Alles was gesagt werden will, darf und muß gesagt und geschrieben werden, ob es Sinn macht oder nicht. Natürlich immer vorausgesetzt, dass dies niemandem schadet, beleidigt, erniedrigt, verletzt oder gar Schlimmeres – was eigentlich überflüssig sein sollte zu erwähnen. Aber die  Dinge müssen dann eben auch beim richtigen Namen genannt werden – der ihrer maximal würdig ist, der sie als das bezeichnet, was sie tatsächlich sind und nicht als etwas, das sie nicht sind.

Diese Art von Texten sind wohl eher als Sprüche, Lebensweisheiten, etc. oder als simple Aussagen einzuordnen. Häufig sind es aber einfach nur irgendwelche „Quotes“ oder, im schlimmsten Falle, ein fader Abklatsch überstrapazierter Sprüche und Zitate, nur in anderen Worten ausgedrückt.

Wenn ich einen Ast habe, kann ich nicht einfach behaupten, dies sei ein Baum. Man füge ein paar weitere kleine und große Äste hinzu, arrangiere diese sinnvoll und vergesse vor allem nicht den Stamm, die Wurzeln oder die Blätter – die lebensnotwendige Essenz, die Seele des Ganzen. Nun kommen wir der Idee eines Baumes schon ziemlich nahe – und der eines echten Gedichtes auch.

***

Anmerkung nebenbei:

Falls sich jemand, aufgrund meiner oben dargestellten persönlichen Meinung, angesprochen oder auf den Schlips getreten fühlen sollte...

(Respektvolle!) freie Meinungsäußerung, sehe ich als absolut und immer erlaubt. Doch leider werden Meinungen, in der heutigen Zeit mehr denn je, häufig als Kritik oder sogar Angriff (einer Person, einer Idee, einer Arbeit, einer Sache, etc..) aufgefasst. Wer harmlose (persönliche) Meinungen direkt als Beleidigung oder dergleichen ansieht, sollte einmal darüber nachdenken, wie frei wir wirklich noch sind... Dieses Thema gehört jedoch an anderer Stelle, an welcher ich mich bei Gelegenheit eigens äußern werde.

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